Die folgenden acht Hebel sind die Hauptzutaten für ein wirklich fahrradfreundliches Braunschweig!
Sie lassen sich weitestgehend übertragen auf die anderen Städte und Ortschaften in der Region.
Bislang spielt der Radverkehr in Braunschweigs Stadtentwicklung und Verkehrspolitik eher eine untergeordnete Rolle und muss sich bei Bauvorhaben und Unterhaltung mit Mangelwirtschaft zufriedengeben. Unter solchen Randbedingungen mussten zwangsläufig Radverkehrsanlagen mit Einschränkungen bei Sicherheit und Nutzerkomfort entstehen.
Braunschweig macht's in Zukunft einfach richtig: Bei allen Planungen und baulichen Maßnahmen wird als Mindeststandard die Richtlinie "Empfehlungen für Radverkehrsanlagen" (ERA) der "Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen" (FGSV) in ihrer jeweils gültigen Fassung zugrunde gelegt und lässt sichere und nutzerfreundliche Radverkehrsanlagen nach dem anerkannten Stand der Technik entstehen.
Wer sich für die Inhalte der ERA-Richtlinie interessiert, findet diese leider nicht öffentlich im Internet, da es sich um ein kostenpflichtig zu erwerbendes Regelwerk handelt. Es stehen aber z. B. am Institut für Straßenwesen der TU Braunschweig Präsenzexemplare zur Verfügung. Das Inhaltsverzeichnis ist dagegen internetöffentlich und macht deutlich, dass das Regelwerk sehr weitreichende Gestaltungsempfehlungen gibt und sich nicht nur auf empfohlene Wegebreiten beschränkt.
Die aktuell für den Radverkehr maßgebliche ERA-Fassung 2010 wird bislang nur verbindlich (teilweise mit Einschränkungen) in den Bundesländern Baden-Württemberg, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt angewandt – nicht dagegen in Niedersachsen, hier gelten niedrigere Standards. Einzelne Städte wie Braunschweig können sich aber selbst auf den ERA-Standard verpflichten.
Die Wirkung von Hebel 1 verdeutlicht sich am besten an ein paar Beispielen:
Seit der Neugestaltung der Museumstraße reißt die Kritik der Fahrradfahrer nicht ab, die sich dort auf den Schutzstreifen nicht sicher fühlen. Ein Blick in die ERA2010/Kap. 3.2 zeigt, dass diese Kritik gerechtfertigt ist, denn dort ist eine Breite der Schutzstreifen von in der Regel 1,50m, mindestens aber 1,25m gefordert. Außerdem sollten diese Maße laut ERA vergrößert werden, wenn die nutzbare Breite des Schutzstreifens eingeschränkt ist (z. B. durch nicht gut befahrbare Rinnen o. Ä.). In der Museumstraße beträgt die nutzbare Breite nach Abzug der rund 35cm breiten Regenrinne jedoch nur 80cm.
Auf Braunschweigs Vorzeigeprojekt "Ringgleis" gibt es leider diverse Risikoabschnitte: |
Braunschweig braucht ein gut ausgebautes Radverkehrsnetz, das auf allwettertauglichen Wegen die einzelnen Stadtteile untereinander und mit der Innenstadt verbindet und insbesondere auch ÖPNV-Knotenpunkte, Betriebe, Einkaufs- und Veranstaltungsstätten anbindet. Radschnellwege verbinden größere Gemeinden und Städte im Umland überall dort mit Braunschweig, wo ein nennenswertes Pendlerpotenzial besteht. Damit gelangen die Radfahrer zügig und ohne Umwege zu ihren Zielen.
Ein oberflächlicher Blick auf Braunschweigs Fahrradstadtplan zeigt ein relativ engmaschiges Netz an Radverkehrswegen und sieht dieses Ziel schon fast erreicht. Erst mit einiger Ortskenntnis fallen die Schwachpunkte und fehlenden Verbindungen des Netzes auf, von denen hier stellvertretend nur zwei genannt sein sollen: Sicherlich sind die Barrierewirkungen der Autobahn A2 und der Schunteraue verantwortlich dafür, dass die heutigen Radverbindungen zwischen Bienrode, Lincolnsiedlung, Kralenriede und Vorwerksiedlung den Anforderungen an einen zügigen Alltagsverkehr nicht entsprechen und nach besseren Lösungen verlangen. Das Ringgleis führt bis heute ohne einen Anschluss unter der Friedrich-Seele-Straße hindurch. Einige Hartgesottene schultern hier ihr Fahrrad und tragen es über die steile Diensttreppe an der Überführung – das ist unfallträchtig und eine Geringschätzung vieler fahrradwilliger Arbeitnehmer, die an der Friedrich-Seele-Straße ihren Arbeitsplatz haben. |
Bei genauerem Hinsehen fällt dann im Fahrradstadtplan aber auch auf, dass zahlreiche Verbindungen gestrichelt dargestellt sind, was in der Legende als "Fahrradrouten auf/an Straßen mit hohem Kfz-Verkehr" betitelt ist. Solange auf solchen Abschnitten straßenbegleitende Radwege vorhanden sind, ist hier das Radfahrern durch den hohen Kfz-Verkehr zwar nervig, aber noch einigermaßen sicher. Es gibt aber durchaus auch einige Abschnitte, wo man hier im Autoverkehr auf der Straße fahren muss, z. B. im Bereich Veltenhof (Wiesental, Unter den Linden, Pfälzer Straße), auf der Peiner Straße durch Völkenrode sowie auf den Fahrradrouten der Lindenbergsiedlung.
Beim zweiten Blick in den Fahrradstadtplan fällt dann auch auf, dass zahlreiche Fahrradrouten punktiert dargestellt sind, also auf gänzlich unbefestigten Wegen oder Wegen mit wassergebundener Decke verlaufen. Solange es sich hierbei um zweit- und drittrangige Fahrradrouten handelt, mag das vielleicht akzeptabel sein. Für Hauptverbindungen des Radverkehrs sind das aber zweifellos keine geeigneten Oberflächen. Die "Empfehlungen für Radverkehrsanlagen" ERA2010 führen als Nachteil einen deutlich höheren Rollwiderstand an. Noch viel ärgerlicher sind die Effekte bei und nach Regenwetter, wenn die Vorderreifen aus den Pfützen und aufgeweichten Wegeoberflächen Matschpartikel hochschleudern, die bis zum Oberschenkel die Kleidung verschmutzen und Kette und Zahnräder des Antriebes verschleißen lassen. Bis die Wege wieder abgetrocknet sind, muss man sich teilweise auch bei bestem Sonnenschein und hohen Temperaturen mit Gamaschen oder Regenhosen schützen und dann sein Fahrrad zur Verschleißvermeidung einer Grundreinigung unterziehen. Aus gutem Grund empfehlen die Richtlinien ERA2010/Kap. 11.1.2 unbefestigte Wegeoberflächen daher nur für Freizeitwege in Grünanlagen und für Wege, die überwiegend dem Fußgängerverkehr dienen.
Nach diesen Betrachtungen stellt sich die Frage nach der Kategorisierung der Radrouten in Braunschweig. Welche Wege müssen als Hauptrouten eingestuft und damit allwettertauglich gemacht werden? Unzweifelhaft hat sich das Ringgleis auch in seinem heutigen Ausbauzustand schon zu einer Hauptroute des Alltagsverkehrs entwickelt. Auch viele Verbindungen zwischen den Stadtteilen mit der Innenstadt und untereinander müssen so kategorisiert und hochgerüstet werden, z. B. die Verbindung Rote Wiese-Lindenbergsiedlung, die West-Ost-Verbindung durch die Weststadt unter der Hochspannungsleitung und die Verbindung Südsee-Richmond-Brücke.
Immer wieder wird in Braunschweig versucht, manche Straßen für den Durchgangsverkehr unattraktiver zu machen, indem Tempo 30 angeordnet wird und wechselseitig links und rechts Verengungen durch Baumscheiben oder Parkplätze angelegt werden, an denen sich Autos nicht begegnen können. Eine solche Gestaltung verleitet rücksichtslose Autofahrer nicht nur zu rasanten Spurts, sondern auch zu gefährlich engen Überholmanövern und Begegnungen mit Radfahrern. Radfahrer dürfen nicht zum Spielball bei der Umgewöhnung von Verkehrsströmen werden, daher dürfen solche Straßen nicht Bestandteil des Braunschweiger Radverkehrsnetzes sein! Am Beispiel des Brodweges ist genau das aber heute der Fall, ein Ausbau des Postgleises könnte ebenso helfen wie neue Radweglösungen am Friedhofsrand.
Neben der Netztopologie muss für wichtige und hochfrequentierte Verbindungen auch betrachtet werden, wieviele Ampeln die Fahrt unterbrechen können und bei vier- und vielspurigen Straßen möglicherweise eine Überquerung in mehreren Etappen mit entsprechenden Wartezeiten erfordern. Die heutigen technischen Möglichkeiten für fahrradfreundlichere Ampelschaltungen ohne unnötiges Ausbremsen des Autoverkehrs sind in Braunschweig bisher bei weitem nicht umgesetzt.
Fehlende oder minderwertige Fahrradabstellanlagen erhöhen das Risiko von Sachschäden und Fahrraddiebstählen. Unter solchen widrigen Bedingungen wird das Fahrrad auch bei idealen fahrradtypischen Entfernungen weniger genutzt, außerdem werden die Nutzung minderwertiger und weniger verkehrssicherer Räder sowie ein risikofreudigeres und weniger regelkonformes Verkehrsverhalten begünstigt . Sichere Fahrradabstellanlagen sind daher für den Radverkehr ebenso wichtig wie ein gutes Wegenetz. Sicheres Fahrradparken ist aber nicht nur im öffentlichen Raum unabdinglich, sondern auch am Zuhause und am Arbeits- oder Lernort der Nutzer, an Einkaufs- und Veranstaltungsstätten und an ÖPNV-Knotenpunkten.
Besten Schutz genießen die Fahrräder in geschlossenen und zutrittsgesicherten Anlagen, die jedoch nicht überall wirtschaftlich zu errichten und zu betreiben sind. In offenen Anlagen ist der Schutz stark abhängig von der Art der verwendeten Fahrradhalterungen. In geschlossenen wie in offenen Anlagen sollten nur noch Anlehnbügel mit Knieholm, besser noch Fahrradhalterungen nach DIN79008 zum Einsatz kommen. Letztere sind in Form von Reihenanlagen mit Hoch-/Tiefstellung flächeneffizienter und erlauben auf derselben Fläche ohne Einschränkung der Nutzerfreundlichkeit eine Abstellung von 40% mehr Fahrrädern – bei Mangel an geeigneten Flächen ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Die von der Stadt Braunschweig aus vermeintlich städtebaulicher Ästhetik heraus favorisierte Halterung des Typs ODM F100 erfüllt die Anforderungen der DIN79008 nicht, verursacht zusätzliche Einbaukosten durch Einzelfundamentierung und sollte daher abgelöst werden.
Die Stadt Braunschweig sollte durch Änderungen ihrer Bauordnung und entsprechender Satzungen auch über ihren direkten Verantwortungsbereich hinaus auf die Installation DIN-gerechter Abstellanlagen hinwirken. Das gilt insbesondere für Betriebe (für die Arbeitswege der Beschäftigten) und für den Wohnungsbau. Für bestehende Betriebsstätten und Mehrfamiliengebäude sollte nach einer angemessenen Übergangsfrist eine Nachrüstpflicht verankert werden, nötigenfalls z. B. in Form von Quartiersanlagen. Die Betriebeübersicht auf "Radregion38" verdeutlicht den Handlungsbedarf. |
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Ohne angemessene Haushaltsmittel bleiben alle Forderungen und Ziele eines Radentscheids fromme Wünsche. Der Nationale Radverkehrsplan (NRVP) 2020 der Bundesregierung nennt Richtzahlen für den kommunalen Finanzbedarf für Infrastruktur und Förderung des Radverkehrs. Dabei werden die Kommunen je nach Ausgangssituation und eigenem Anspruch unterschieden in "Einsteiger", "Aufsteiger" und "Vorreiter". Für "Vorreiter"-Städte werden jährliche Investitionen in den Radverkehr von 18-19 Euro pro Einwohner/-in veranschlagt. Braunschweig muss "Vorreiter"-Stadt sein!
Die Stadt Braunschweig investiert mit ihrem Tiefbauprogramm 2018 rund 58 Millionen Euro in die Erneuerung von städtischen Straßen, Brücken, Gleisen und Leitungen. Rund 37 Millionen Euro werden dabei für die Neuverlegung und Sanierung von Ver- und Entsorgungsleitungen sowie für das Stadtbahnnetz aufgewendet, knapp 21 Millionen Euro fließen in die Instandsetzung, Verbesserung und den Neubau von Straßen und Brücken. Daraus die anteiligen Aufwendungen für Radverkehrsinfrastruktur zu separieren, lässt viel Interpretationsspielräume: Wenn z. B. bei einem Straßenbauprojekt ein Schutzstreifen für den Radverkehr entsteht, sind dann nur die Markierungsstreifen dem Radverkehrshaushalt zuzurechnen oder die anteiligen Herstellkosten für die gesamte Straßenfläche des Schutzstreifens?
Bei Unterhaltungsmaßnahmen, Pflegeaufwänden und Personalkosten sind die Interpretationsspielräume geringer, aber auch hier ist z. B. die Frage erlaubt, ob die jährlichen Abschreibungskosten für die kleinen radwegegängigen Kehrmaschinen von ALBA komplett dem Radverkehr zuzurechnen sind.
Solange die Fahrradinfrastruktur in Braunschweig die wesentlichen Grundbedürfnisse der Radfahrer nicht abdeckt, ist auch eine Negativliste sinnvoll, damit keine Mittel aus dem Radverkehrsetat für plakative, aber nicht wirklich radverkehrsförderliche Maßnahmen missbraucht werden. Mögliche Beispiele dafür können sein:
- Haltegriffe für Radfahrer an Ampeln (das ist Schlaraffenland-Level - dann dürften Fußgänger auch Barhocker an den Ampeln fordern)
- öffentliche Ladestationen für E-Bike-Akkus (machen angesichts der heutigen Akkukapazitäten/Reichweiten nur Sinn im Bereich des Radtourismus oder in hügeligen/gebirgigen/sehr windstarken Gegenden - beides trifft auf Braunschweig nicht zu).
Fachexperten schätzen die jährlichen Ausgaben der Stadt Braunschweig für den Radverkehr je nach Betrachtungsweise auf 0,5 bis 2 Millionen Euro, also rund 2 bis 8 Euro pro Einwohner/in. Da ist in jedem Fall noch sehr viel Luft bis zur NRVP-Richtzahl für "Vorreiter"-Städte!
Die bestehenden Radverkehrswege in Braunschweig sind nicht gerade ein Schlaraffenland: Viele Wege sind viel zu schmal, weisen nicht die notwendigen Sicherheitsstandards auf oder sind durch Wurzelaufbrüche und ungenügende Bordsteinabsenkungen unkomfortabel zu befahren. Auch die Beseitigung von Glasscherben oder Astwerk nach einem Sturm lässt oftmals zu wünschen übrig.
Die baulichen Mängel sollten katalogisiert und je nach Brisanz und baulichen Möglichkeiten sowie im Abgleich mit möglicherweise ohnehin anstehenden Bauarbeiten für eine Behebung priorisiert werden. Außerdem wird die Reinigung der Radverkehrswege verbessert.
Viele Radwege in Braunschweig sind viel zu schmal, teilweise kaum handtuchbreit wie z. B. auf der Kastanienallee oder an der Hagenbrücke. An anderen Stellen werden Radwege immer wieder durch Wurzelaufbrüche auffällig und verursachen somit regelmäßige Unterhaltungsaufwände. Teilweise hat man sich bei diesen beiden Sachverhalten "beholfen", indem hier kurzerhand durch Abmontieren der blauen Fahrradweg-Verkehrszeichen die Benutzungspflicht aufgehoben wurde und damit der Weg nur noch ein so genannter Angebotsradweg ist, das Radfahren auf der Fahrbahn also erlaubt, wenn nicht gar erwünscht ist. Wenn ein Angebotsradweg vorhanden ist, weichen nach Zahlen der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) nur vier Prozent der Radfahrenden auf die Fahrbahn aus – selbst wenn die in deutlich besserem Zustand ist. Dem „Nahkampf“ mit Autos, Lieferwagen und Lkw wollen sich nur wenige Radler stellen. Unter den Senioren sind es laut BASt weniger als ein Prozent, die auf der Straße radeln. Für die Autofahrer ist es quasi unmöglich, Angebotsradwege als solche zu erkennen, denn sie müssten an jeder Kreuzung auf das Nicht-Vorhandensein des Fahrradweg-Verkehrszeichens achten. Das ist nicht leistbar. Andererseits ist aber auch ebensowenig akzeptabel, dass sich Autofahrer immer wieder zu Hilfssheriffs aufschwingen und Radfahrer "von der Fahrbahn hupen" wollen oder gar abzudrängen versuchen. |
Sogar auf der hochfrequentierten Salzdahlumer Straße sind weitestgehend die Fahrradweg-Verkehrszeichen verschwunden (das dürfte aber ein Versehen sein und wird gerade von der Bauverwaltung geprüft). Aber die Salzdahlumer Straße bietet darüber hinaus noch etliche weitere Gefahrenstellen, z. B. die Einmündung der Borsigstraße. Hier müssen Radfahrer genau an der Stelle, wo sie zum Schutz gegen unachtsame Rechtsabbieger möglichst Blickkontakt aufnehmen sollten zu Autofahrern auf gleicher Höhe, zusätzlich eine Radwegeverschwenkung meistern, sonst fahren sie geradewegs auf die Fahrbahn. Im weiteren Verlauf fehlt hier über weite Strecken ein Sicherheitstrennstreifen (nach ERA2010/Kap. 3.4 mindestens 50cm breit) zwischen Fahrbahn und Radweg, der Radweg grenzt stattdessen unmittelbar an die Fahrbahn. |
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An vielen Stellen im Stadtgebiet sind die vorhandenen, teilweise Jahrzehnte alten Radverkehrsanlagen dem heutigen Radverkehr überhaupt nicht mehr angemessen. Ein sehr drastisches Beispiel ist der Radverkehrsknotenpunkt Hagenmarkt Nord, wo unter den Arkaden ein 1,80m breiter Zweirichtungsradweg verläuft. Eine geeignete Aufstellfläche an der Ampel für aus der Fallersleber Straße kommende Radfahrer fehlt völlig. Bei diesen sehr beengten Verhältnissen kommt es immer wieder zu Konflikten und brenzligen Situationen zwischen Radfahrern untereinander und mit Fußgängern. Hoffentlich wird diese Stelle beim anstehenden Umbau des Hagenmarktes dann ERA-gerecht entschärft! |
Nicht nur bei holperigen Wurzelaufbrüchen quer zur Fahrtrichtung lauert auf Braunschweigs Radwegen Gefahr, sondern auch in Längsrichtung: In der Vergangenheit hat man vielfach zwischen einem asphaltierten Radweg und einem Gehweg einen Begrenzungsstreifen aus roten Backsteinen eingelassen. An vielen Stellen im Stadtgebiet sind solche Begrenzungsstreifen heute abgesackt und lassen die als Radwegbegrenzung eingelassenen Kantsteine dann mehrere Zentimeter aufragen, die beim Überfahren in Längsrichtung ähnliche Sturzgefahren bergen wie Straßenbahnschienen. Mindestens ein in Braunschweig dadurch verursachter Unfall mit schweren Verletzungen und mehrwöchiger Reha ist bekannt, mancher Radfahrer wird bei solchen Stürzen aber auch nicht unbedingt die Ursache erkennen, so dass entsprechende Rückmeldungen an das Tiefbauamt unterbleiben und das tatsächliche Ausmaß schlecht einschätzbar ist. |
Nach einem erfolgreichen Radentscheid werden die Mängel an Radverkehrsanlagen katalogisiert und je nach Brisanz und baulichen Möglichkeiten sowie im Abgleich mit möglicherweise ohnehin anstehenden Bauarbeiten für eine Behebung priorisiert. Der Katalog inkl. Statusinformationen sollte internetöffentlich sein und an das Meldetool im Beschwerdemanagement der Stadt Braunschweig angeschlossen sein. Die baulichen Umgestaltungen sollten sich an der ERA-Richtlinie orientieren (siehe auch Hebel 1).
• Reinigung – nur ein Komfortthema?
Welcher Radfahrer kennt das nicht?: Man hat wohl einen Scherbenhaufen übersehen und wenige Minuten später steht man auf der Felge - auch die hochwertigen Reifen sind nur pannenärmer, aber nicht pannensicher. Ärger, Zeitverluste - nicht selten müssen andere Familienmitglieder mit dem Auto den "Liegenbleiber" mitsamt Fahrrad aufsammeln. Eine Scherbenbeseitung in angemessen kurzer Zeit ist daher kein Komfortthema, sondern genauso eine Frage der Zuverlässigkeit einer Verkehrsart wie eine Verspätungsstatistik bei der Bahn. Ähnliches gilt für die zeitnahe Beseitigung von Astwerk nach einem Sturm, das in die Speichen schleudern und Stürze verursachen kann. Auch für das gesamte Reinigungsthema ist daher eine Kategorisierung der Braunschweiger Radrouten und eine entsprechende Festlegung der Reinigungszyklen notwendig. Bisher berücksichtigt die Straßenreinigungsverordnung mit ihren Reinigungsklassen den Radverkehr nicht ausreichend, wie könnte sonst eine bekanntermaßen scherbenträchtige Hauptverbindung wie der Werkstättenweg in Reinigungsklasse IV mit zweiwöchentlicher Reinigung auskommen und den Anliegern (sporadisch anwesenden Kleingärtnern?) übertragen sein? Im Beschwerdemanagement der Stadt Braunschweig sollten "Glasscherben" eine vordefinierte Schadenskategorie sein. Für gemeldete Glasscherben auf Hauptrouten sollte eine Beseitigung innerhalb von 24 Stunden garantiert sein.
Fahrradfahren macht Spaß, ist für jeden erschwinglich, gesundheitsfördernd und trägt dazu bei, die urbanen Qualitäten der Stadt zu steigern. Der Anteil der Fahrradfahrer am Gesamtverkehr nimmt stetig zu. Andere möchten noch überzeugt werden oder wünschen sich Informationen zum partnerschaftlichen Verhalten im Verkehr, zum Umgang mit steigendem Radverkehr. Die breite Öffentlichkeit sowie LKW- und Taxi-Fahrer sollen mit gezielten Kampagnen und Ausbildungsangeboten informiert und sensibilisiert werden. Aggressives Verkehrsverhaltens soll verringert, Fahrradmobilität gefördert und als Teil eines positiven Lebensgefühls beworben werden.
Der Aufbau eines sicheren und komfortablen Radwegenetzes bewirkt, dass noch mehr Menschen mit dem Fahrrad unterwegs sein können - für ihre alltäglichen Besorgungen, den Arbeitsweg, den Weg zum Theater. Die Aufteilung des Straßenraums in Braunschweig wird sich verändern: Es wird mehr Radfahrende geben und ihnen wird mehr Platz zugestanden. Diese neue Situation erfordert an mehreren Stellen ein Umdenken aller Verkehrsteilnehmer. Dafür braucht es eine aktive Öffentlichkeitsarbeit: Veränderte Verkehrssituationen müssen erklärt, gegenseitiges Verständnis und Rücksicht müssen gefördert werden.
• Braunschweig baut Radwege – und alle sollen das wissen
Was hätten die Braunschweigerinnen und Braunschweiger vom schönsten Radweg abseits der Hauptverkehrsstraße, wenn niemand davon weiß? Was, wenn die Regeln in den Fahrradstraßen missachtet werden, weil kaum einer sie kennt? Die geschaffenen Möglichkeiten müssen in der Öffentlichkeit bekannt gemacht und die Menschen ermutigt werden, diese auch zu nutzen. Kampagnen, Pressearbeit und Veranstaltungen sollen möglichst viele Menschen dazu motivieren, ihre Wege mit dem Fahrrad zurückzulegen und so eine moderne Alternative zum Auto zu nutzen.
• Die Sicht der anderen verstehen – das Miteinander fördern
Wie verhalte ich mich als Autofahrer gegenüber der steigenden Zahl an Radfahrern? Wie wird die neue Radwegführung gekreuzt? Was müssen schnelle Radler beim Überholen von Kindern und Senioren beachten? Wo kann ich mit meinem Lieferwagen halten?
Mehr Rücksicht und Umsicht im Verkehr wären jetzt schon wünschenswert. Umso mehr müssen diese Haltungen gefördert werden, wenn geänderte Wegeführungen, Vorfahrten und zunehmender Fahrradverkehr gewohnte Strecken neu gestalten. Dies gilt nicht nur für Autofahrerinnen und Autofahrer: Auch Radfahrende müssen lernen, auf neuen, breiten Wegen mit den vielen schneller und langsamer radelnden Mitmenschen rücksichtsvoll umzugehen.
Nicht zuletzt sollen die Verkehrsregeln und Unfallrisiken immer wieder ins Bewusstsein gerufen und so die Verkehrsmoral gesteigert werden.
• Öffentlichkeitsarbeit ist wichtig!
Gute Öffentlichkeitsarbeit ist ein unabdingbarer Hebel für eine Umgestaltung zu einer fahrradfreundlichen Stadt! Die Öffentlichkeitsarbeit soll über die Fortschritte beim Wegenetzaufbau informieren, die positiven Effekte des Radfahrens hervorheben und problematisches Verhalten im Straßenverkehr thematisieren. Sie kommt nicht mit dem erhobenen Zeigefinger daher, sondern vermittelt die Vision der lebenswerten Stadt, in der die Menschen im Vordergrund stehen und nicht der Autoverkehr.
Zugeparkte Fahrradwege, dichtes Überholen, kein Schulterblick beim Abbiegen, unachtsam geöffnete Autotüren, Hupen und Pöbeln – all das ist Alltag für Radfahrende auf Braunschweigs Straßen. Am Zielort angekommen wartet nicht selten das nächste Ärgernis, wenn die nächstgelegene Fahrradabstellanlage keine freien Plätze mehr bietet, wobei aber einige der wertvollen Stellplätze von Fahrradwracks belegt sind. All diese Probleme sind sehr viel effizienter vom Fahrradsattel aus wahrnehmbar (und beeinflussbar) als aus der Windschutzscheibenperspektive. Der Radentscheid sieht daher eine ständige Fahrradstaffel der Polizei und regelmäßige Kontrollfahrten per Fahrrad von Beschäftigten des Ordnungsamtes vor.
Die Fahrradpolizisten nehmen den Straßenverkehr und seine Gefahren mit den Augen der Radfahrer wahr und ahnden Regelverstöße, die vor allem schwächere Verkehrsteilnehmer gefährden – Radfahrer, Fußgänger, Kinder und Senioren. Neben der Verfolgung sicherheitsrelevanter Verstöße sollen sie auch Mängel und Gefahrenstellen aller Art an den Verkehrsanlagen erkennen und melden, damit diese so rasch wie möglich behoben werden. Die Fahrradstaffel ist nicht nur vereinzelt, sporadisch und bei schönem Wetter unterwegs, sondern alltäglich im Stadtgebiet im Einsatz und ein gewohnter Anblick im Stadtbild. Die Fahrradstaffel, richtig eingesetzt und instruiert, kann insgesamt die Verkehrssicherheit und Verkehrsmoral aller verbessern und die öffentliche Wahrnehmung des Fahrrads als gleichberechtigtes und vollwertiges Verkehrsmittel fördern.
Dieser Hebel steht im Einklang mit einer aktuellen Forderung der Deutschen Verkehrswacht. Die Stadt Braunschweig sollte sich daher nachdrücklich beim niedersächsischen Landespolizeipräsidium für eine solche Fahrradstaffel einsetzen.
Auch die Kontrolle der städtischen Fahrradabstellanlagen auf nicht mehr bewegte Fahrräder und Fahrradwracks geschieht am effizientesten per Fahrrad. Dazu unternehmen Beschäftigte des Ordnungsamtes regelmäßige Kontrollfahrten per Fahrrad durch das Stadtgebiet und dokumentieren und markieren dabei sofort die auffälligen Fahrräder und Fahrradwracks. Neben dieser Hauptaufgabe haben sie zugleich ein waches Auge auf Mängel und Gefahrenstellen aller Art an den Verkehrsanlagen und melden diese an die zuständigen Stellen.
Eigentlich ist das Fahrrad ebenso wie das Auto überwiegend kein Fahr-, sondern ein "Stehzeug", das stunden- und teilweise sogar tagelang einen Stellplatz belegt und auf seinen nächsten Einsatz wartet. Außerdem dürfte es auch in Braunschweig eine nicht unerhebliche Anzahl von Menschen geben, die sich gar nicht unbedingt um ein eigenes Fahrrad kümmern wollen oder können, sondern bei Bedarf gerne und unkompliziert auf ein Leihfahrrad zugreifen möchten. Diese Gründe sprechen für den Aufbau eines attraktiven öffentlichen Fahrradverleihsystems.
Ein attraktives öffentliches Fahrradverleihsystem dürfte für viele Zielgruppen ein interessantes Angebot darstellen, z. B.
- Bahnpendler, die als Teil ihrer Wegekette ein Fahrrad benutzen wollen
- Studenten, die zwischen verschiedenen Hochschulgebäuden pendeln müssen
- Menschen, die sich die Aufwände zur Unterhaltung eines eigenen Fahrrades ersparen wollen
- Menschen, die zurzeit an ihrem Zuhause keine sichere Abstellmöglichkeit für ein eigenes Fahrrad haben
Ein Fahrradverleihsystem könnte u. a. die Kapazitäts- und Fahrradwrackprobleme der Fahrradabstellanlagen am Hauptbahnhof, in der Peripherie der Fußgängerzone und an Universitätsgebäuden deutlich mildern.